mirages - horizons 2001

 

auf den ersten blick haben die neuen collagen von edgar knoop aus karton und papier scheinbar kaum noch etwas von den früheren konstruktiv – konkreten werken mit ihrem geometrischen oder stereometrischen aufbau, ihrer präzisen farbgebung, ihrer ortsbindung und strengen ordnung.

doch verbindungen zwischen ihnen und früheren arbeiten bestehen offensichtlich: einige stichwörter liefern die katalogtexte von dieter ronte und lothar romain. ronte verweist auf die minimalisierung der mittel zum zwecke einer optimierung der wahrnehmung dessen, was in den bildern vor sich geht, also auf eine methode, die für die gesamte arbeit edgar knoops charakteristisch ist. das lässt sich ohne schwierigkeit auch auf die neuen collagen übertragen.

lothar romain nennt den künstler einen analytiker, experimentator und farbtheoretiker; das sind gleichsam voraussetzungen, etwas neues zu schaffen. aber romain betont auch, dass edgar knoop vor allem künstler sei, was ihn, so kann man hier folgern, in die lage versetze, radikale brüche in seinem schaffensprozess zu vollziehen und sie dennoch in seinem oeuvre zu vereinigen.

aussagen zur farbe werden auch in den collagen bestätigt, wenn romain den künstler zitiert: „die tatsache, dass farbe vom auge bewertete elektro- magnetische strahlung ist, muss jeden versuch, ihr sein nur auf physikalischer ebene bestimmen zu wollen, einseitig und fragwürdig erscheinen lassen “; was heißt, dass das auge Informationen über farben an das zentrale nervensystem weiterleitet und dort empfindungen auslöst, die nicht physikalischer natur sind. den künstler edgar knoop interessiert farbe auch in diesen collagen als eine substanz, die sich gegenüber anderen im wörtlichen sinne profiliert, d.h. sich von anderen qualitativ absetzt und so farbraum schafft. der künstler hat in den collagen das problem gelöst, für farbräume adäquate materialisationen zu finden.

anders als in den geometrischen kompositionen entdecken wir in diesen collagen, dass sich jede farbe, nicht nur die grossen kartonflächen, sondern jede nuance der gerissenen ränder ihren farbraum bildet und gegenüber den nachbarfarben behauptet. scheinbar zeigen die collagen mit ihren risslienien prägnant undeutliche grenzen, doch dank ihrer farben haben sie sehr deutlich von einander getrennte bildzonen.

die im übrigen industriell gefertigten, vom material bestimmten farben mit ihren unterschiedlichen strukturen oder glatten flächen rechtfertigen zusammen mit den vielen abstufungen einzelner schichten also den begriff farbraum. in seinem verlauf werden einige geometrische grundzüge sichtbar:

der aufbau des einzelbildes wird von mehreren horizontalen linien durchzogen.

häufig sind diese linien als zwischenräume breit genug, einer folie raum zu geben, die auf licht reagiert und wechselnde farbigkeiten erzeugt. unzweifelhaft ein element, das schon in den früheren bildwerken erprobt wurde und hier übernommen wird. hier wie dort ist dieses lichtspiel eine aufforderung an den betrachter, sich zu bewegen, zu interagieren, um die vorgänge im lichtspalt als farbveränderungen wahrzunehmen. gegenüber der scheinbar toten materie pappe oder papier wirkt dieses farbspiel wie eine art belebung der gesamtfläche.

Es gibt daneben andere horizontale linien ohne diesen farbeffekt. auch sie unterteilen das bild. abermals wird hier eine qualität von aussen für die bildkomposition bestimmend, die mit dem landschaftlichen ansatz nichts zu tun hat: alle horizontalen flächen stehen in einem bestimmten zahlenverhältnis zur gesamtfläche des bildes, das auf den goldenen schnitt, auf die zahlenreihe des italienischen mathematikers fibonacci zurückgeht. die linien sind also keine willkür, kein zufall sondern berechnung als kontrast zur eigentlichen subjektiven methode des bildprozesses - dem reißen und teilen.

und ein letztes verbindendes element ist das der reihung und gruppierung.

über die eigentliche funktion des bildrahmens hinaus finden innere rahmungen von einzelblättern, zweier- , dreier- und selbst vierergruppen statt. insbesondere durch die auftretenden farbkombinationen wirken diese gruppen zwar unterteilt, doch das bild aus mehreren blättern wird als einheit gesehen, - was bedeutet, dass die vorgänge in einem einzelblatt auch mit den vorgängen in benachbarten blättern korrespondieren. es entsteht eine interaktion, die nicht vergleichbar ist mit phänomenen der „interaction of color“ von josef albers, sondern vielmehr aus parallelen und ähnlichkeiten, aus der wiederholung und aus den verläufen von linien ihre harmonie bezieht.

soweit einige verbindungslinien zu den früheren arbeiten.

 

horizons – mirages, 2001


die ausgestellten werke transportieren darüber hinaus neue formale und assoziative inhalte: collagen aus gerissenem karton.

was bewegt jemanden, der etwas zerreißt? im allgemeinen ist dies ein vorgang der beendigung, der zerstörung, der wertumkehrung und distanzierung. diese konventionelle vorstellung vom vorgang des zerreißens bekommt eine andere bedeutung, wenn ein künstler wie edgar knoop diese tätigkeit vollzieht: zwar löst sie auch hier einen scheinbar ganz banalen zustand aus, den eine frische pappfläche konfektioneller art einnimmt, jedoch erfolgt die auflösung nicht zum zwecke einer materialvernichtung sondern eines neuaufbaus. nicht in der ganzheit des kartons liegt für edgar knoop der nutzen sondern in der zerlegung in teile, die durch den prozess des reißens ungleichmässig werden. abgesehen davon wird die tätigkeit des reißens in spezifische arbeitsweisen zerlegt: es ist nicht gleich, wenn man einen karton auseinandernimmt oder von dessen feinem rand noch einmal eine schicht abzieht und freilegt.

hier taucht ein weiterer aspekt auf, der sehr gut die differenzierung von werten vor augen führt: normalerweise schätzen menschen das heile, das ganze, das unbeschädigte, oft als fertiges industrieprodukt. der künstler edgar knoop zeigt, dass es subjektiv höhere werte bezüglich desselben objekts gibt: die zerlegung in teile und schichten führt zum aufbau eines neuen gebildes mit neuer form, mit neuer farbigkeit, mit neuem inhalt und neuer emotionaler dimension. die verwandlung des kartons in bilder innerer landschaften eröffnet einen assoziationsprozess, dessen umfang jeder betrachter für sich selbst bestimmen kann. um ein neues formenrepertoire zu erarbeiten, bedient sich der künstler einer zweiten arbeitsweise, der des klebens.

auch im alltag wird zusammengeklebt, was zusammen gehört, den versehentlich zerrissenen brief oder zerbrochene teile eines wertvollen objekts. aber im unterschied zur künstlerischen tätigkeit bemüht sich der klebende hier um die herstellung des alten zustands vor der teilung, während der künstler hier eine neue und überraschende form findet, bei der durchaus nicht alle teile eines zerrissenen kartons wieder zusammengefügt werden.

im gegenteil, die reduktion der masse kommt dem ziel, eine landschaft in erinnerten konturen mit kartonteilen zu schaffen, sehr viel näher.

die reduktion erlaubt gerade, diese reiche fülle von differenzierungen,übergängen, transparenzen, aber auch die schichtungen, die der einzelne karton von sich gibt und die der künstler nach eigener vorstellung aufbereitet, wahrzunehmen und zu vergleichen.

in dieser tätigkeit edgar knoops zeigt sich eine sehr schöne und einfache definition dessen, was kunst sein kann: sie entsteht zwar aus tätigkeiten wie im alltag, aber mit fundamental anderen, dem alltag fremden, vielleicht sogar entgegen gesetzten zielen - zerreißen ist gewinnen, kleben ist neues errichten und im neuen eröffnet sich eine verborgene welt - zunächst in der analytischen bestimmung des materials, dann in den assoziationen, die vom vollendeten werk ausgelöst werden.

das ergebnis der arbeit ist schon genannt: entstanden sind innere, erinnerte landschaften in reduzierter form, die nicht direkt auf reale landschaften zu beziehen sind, aber von ihnen, die auf vielen reisen gesehen und erlebt wurden, in einem prozess der speicherung, der verdrängung und schließlich der freilegung abgeleitet werden. zugleich aber ist dieser freisetzungsprozess eine art persönlicher befreiung: der künstler selbst empfindet diese arbeiten als ausdruck einer neuen freiheit, als loslösung von gewohnten kreativstrategien, als neues wagnis. dass diese befreiung einem subjektiven inneren zwang folgt, ist, wie jeder weiß, der mit künstlerinnen und künstlern zu tun hat, ästhetischer alltag.

zahlreiche theorien sind im vorigen jahrhundert entwickelt und praktiziert worden; ihre ergebnisse zu überprüfen, neu einzuordnen oder zu verwerfen, erhält in unserer zeitphase neuen aufschub. sich auf neue erfahrungen einzulassen, neue eindrücke über die bisherigen grenzen hinaus zu sammeln, um zu neuen ergebnissen zu kommen, - hier spüren wir etwas von der freiheit, die sich edgar knoop nimmt und in den neuen bildern seiner collagen ausdrückt. ihnen ist das, was lothar romain einst zu den früheren arbeiten schrieb, dennoch nicht genommen, das sphärische, das über sich und das material hinausweisende, - das gerade in diesen inneren landschaften zu wirken scheint.

 

jürgen weichardt,
galerie swetec düsseldorf, 2001

 

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