werkzeuge der raumwahrnehmung

 

der urbanität der öffentlichen räume in den deutschen städten ist arg mitgespielt worden. die zweite zerstörung der historischen innenstadträume nach der kriegsbombardierung durch den wiederaufbau hat es mit sich gebracht, daß von gebäuden und plätzen eine prägende, öffentlich wirksame kraft nicht mehr ausgeht. soweit öffentliche räume als aufmarschplätze einer massenkultur nazistischer ausrichtung dienten, ist eine solche entwicklung als gegenreaktion hinzunehmen. sofern die aufgabe jeglicher identifikation mit öffentlichen räumen und der verzicht auf ästhetische markierungen impliziert ist, haben wir es mit einem bedenklichen phänomen der kulturverarmung zu tun. die zur reparatur dieses zustands aufgerufenen künste konnten wesentliches allerdings nicht beitragen. weder die architektur noch die skulptur war imstande, adäquate ausdrücke für eine solch sich möglicherweise neu konstituierende stadtkultur in ihren gestaltungen bereitzustellen. es fehlte an visionen und der kühnheit, urbanistische setzungen zu wagen, wie wir sie etwa in chicago erleben können bei architektur und skulptur der öffentlichen plätze, die fußgängerzonen der deutschen städte mit ihren zeitgenössischen plastiken und brunnengestaltungen legen zeugnis ab von einem sonderbaren kleinmut, räume zu bespielen und bleiben daher applikation, nämlich anfügungen, ohne auszugreifen. zwar gelang es zuweilen der architektur, in deutschland raumkunstwerke zu schaffen, die als öffentliche gebäude maßstäbe setzen konnten - museen, theater, banken, postämter, krankenhäuser -, doch geschah dies zu selten, um wirklich nachhaltig eine neue urbanität zu entfalten. so war es ein glücksfall, daß nach vielen querelen und einer 100jährigen leidensgeschichte der new yorker architekt richard meier die möglichkeit geboten bekam, im herzen einer großen deutschen stadt, auf dem ulmer münsterplatz, im schaffen einer der schönsten historischen kirchenbauten der welt, ein baukunstwerk zu setzen, welches ein neues spannungsfeld aufbauen konnte zwischen geschichte und gegenwart, alter und neuer urbanität. für ulms stadtkultur bedeutet dies einen schub von überhaupt noch nicht zu ermessender tragweite, zumal meier konsequenterweise den gesamten münsterplatz neu gestaltete - konsequenterweise, weil das raumprogramm des neuen ulmer stadthauses von einer nach innen gewendeten piazza ausgeht, der öffentliche äußere raum des platzes sich also in den innenräumen des durchgehend transparenten gebäudes fortsetzt.

daß die meiersche architektur sich in den letzten von deutschland ausgehenden großen urbanistischen aufbruch, der bauhausbewegung, einreiht und zugleich an den 1968 zwar abgebrochenen, aber immer noch prägenden versuch der erneuerung dieses bauhausgedankens, der ulmer hochschule für gestaltung, erinnert, ist die chance des stadthauses. mit dieser herausforderung, wenn 1995 gedacht werden soll an diese anknüpfungs- und erneuerungsbewegung, 40 jahre nach deren gründung in ulm, kommen höchste qualitätsansprüche bei der planung von manifestationen unter dem vorzeichen "bauhaus und hfg" ins spiel. die ursprüngliche absicht, ausstellungen mit ulmer künstlern (solchen, die exemplarisch auf dem skulpturenpfad des gebäudes des wissenschaftszentrums auf dem eselsberg präsent sind) zu verbinden mit der aktualität der von der bauhausbewegung ausgehenden impulse bei künstlern aus mailand, sao paulo und anderen deutschen städten, mußte verkürzt werden auf einen einzigen beitrag. berechtigterweise traf die einladung zu einer ausstellung dann edgar knoop aus münchen. wie kein anderer künstler, und dies nicht nur im deutschen sprachraum, hat er die maximen und disziplinen der konkreten kunst aufgegriffen, erneuert und zur anschauung gebracht, auch zu zeiten, die den duktus gestischer wilder malerei und gegenständlicher plastik zum modediktat verabsolutierte und alle diejenigen künstler, die nicht einschwenken mochten, mit der sanktion der marktferne zu strafen suchte.

heute erleben wir, was kunst im öffentlichen raum betrifft, die in den letzten jahrzehnten auf plätzen, grünflächen und im bannkreis öffentlicher bauten entstanden ist, als ein pathos der meist gegenständlich formulierten aussage, die zeitgeistgebunden beim empfänger nicht mehr ankommt, weil sie auf ihre bloße form reduziert und der aussage entkleidet, als falsche geste sich selbst bloßstellt. nur in wenigen und benennbaren fällen konnte skulptur im urbanen raum beitragen, einem phänomen entgegenzuwirken, das unter dem stichwort "das verschwinden der räume" ausführlich diskutiert wurde.

zu diesen fällen gehört edgar knoop, der ein progromm öffentlicher plastik vorgestellt hat, welches sich raumkonstituierend auswirkt durch die setzung der fundamentalen elemente farbe und licht. dies wird von ihm nicht erreicht etwa durch individuelle gestalterische verwirklichung eines eher privaten formenvorrats, sondern ist mathematisch berechnet und physikalisch ausgeklügelt, so wie ja auch ein komponist - ein "ton-setzer" - in mathematisch-physikalischen systemen zu navigieren pflegt. gleichwohl kommen beide, der konkrete künstler und der konkrete tonsetzer zur individuellen handschrift, wenn sie gut sind.

wie perfekt knoops interventionen im freien sowohl einen klaren raum abstecken und definieren als auch erfüllen (das bezeichnete fällt mit dem bezeichnenden zusammen), wird bei den arbeiten in münchen, mainz und senden evident. in münchen neigt sich eine einzelne stele, als stahlrohr in hellblauer farbe, dem flachbau des sportzentrums an der hochstraße (1990/91) zu. der grad der schräge wird erkennbar und bemaßbar an gelben Latten, die in unregelmäßigen abständen (logarithmische reihung) die außenwand der sporthalle senkrecht strukturieren.

die nähe eines hohen und schmalen spätbarocken gebäudes mit kirche hebt die radikalität der künstlerischen eingriffe hervor. was beim ersten anblick jedoch als eine irritation provozieren könnte - statt einer üblicherweise geraden stele eine schräg geneigte -, zwingt durch den präzis abgeschätzten und psychologisch geschickt inszenierten winkel den betrachter zur ergänzungsleistung. so fügt sich zum ensemble, was sonst nie miteinander harmonieren würde. durch eine einzige stange ist hier ein optisches und letztlich kulturelles zusammenwirken zweier denkbar diverser baustile vom künstler herbeigeführt - und dies nicht etwa durch das architektonisches konstrukt eines vermittlungsgebäude. knoops plastik schafft als eine dem betrachter zum freiwilligen nachvollzug vorgeschlagene leistung die für die spezielle städtebauliche situation dringend notwendige integration. seine kunst ist also gleichermaßen nützlich, wie sie frei bleibt. die fünf stelen im außenbereich der klinik für psychiatrie und psychotherapie der johannes gutenberg universität mainz sind wie die münchner stele lackierte stahlrohre, 13 meter hoch, in der farbsequenz gelb, gelborange, orange, rot, blau. ihre funktion im öffentlichen raum ist jedoch eine völlig andere als in der münchner situation. die von knoop kalkulierte progressive neigungsfolge der einzelnen stelen, mit 89°, 87°, 84°, 79° und 71°, extrapoliert das alltägliche leben einer klinik und ihrer patienten in den öffentlichen raum. hier ist es die natur, ein wiesenstück am rand eines umschließenden gehweges, das in die vorherrschenden wiesen und wälder übergeht.

auch hier ist der erste eindruck irritierend, ein scheinbares chaos von schräg in den boden gerammten rohren baut sich jedoch im nu zu einem spannenden beziehungsgeflecht individueller haltungen auf; dennoch wird individualität nicht figur, sondern bleibt, nur durch farbe und neigung unterschieden, abstrakt. daß die wirkung nicht kalt ist, sondern buntheit, lebendigkeit und leben, dialog zwischen norm und abweichung sich assoziativ herstellen und die gruppe geradezu lustig wirkt, wo es doch "nur" um stahlrohre geht - dies bleibt das rätsel des seine mittel durchaus ablesbar, aber doch kreativ einsetzenden künstlers.

 

 

projekt mikado, universität augsburg, 1996

 
solch virtuoser umgang mit gestaltungsmitteln im öffentlichen raum erinnert an die fertigkeiten und rezepte der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen bauhütten- und dombaumeister. deren bemessungen und harmoniert sind zwar nochvollziehbar, doch nicht neu anwendbar, so daß der vergleich nicht zu hoch gegriffen ist, wenn man die erfüllung der aufgabe bemisst : wie ist das innenleben einer klinik nach außen kommunizierbar in die situation der umgebung auf eine weise, daß sie von den vorübergehenden, patienten und unbeteiligten spaziergängern, wahrgenommen werden kann. ein figurativ arbeitender bildhauer hätte sich wohl in die einzelheiten der darstellung verloren, in eine zeitgeistbestimmte symbolik. knoops pure, unmittelbar eingängige gestaltung stellt ein raumgenaues meisterwerk her (1986/87), welches in seiner abstrakten sinnfälligkeit seinesgleichen sucht. mit wieder den gleichen mitteln, eben farbigen stahlrohren, schafft der künstler in seinem zuletzt entstandenen werk im öffentlichen raum, im forum der wirtschaftsschule senden (1994), einen im vergleich mit den beiden oberen genannten werken völlig anderen bezug. da sind die drei stelen in rot, gelb und blau einander so sehr als eine enge gruppe zugeneigt, daß sie eine bündelnde kraft ausstrahlen, welche den transparenten baukörper der schule von außen her stützt, sich affirmativ verhält zur architektur. die aussage des kunstwerks ist auf redundanz angelegt. sie unterstreicht die funktion des bauwerkes als einer schule, also einer maßstabsetzenden institution. die kraft wird von außen noch innen getragen. konsequenterweise greift der künstler die farbigen elemente der außenstelen auf und setzt sie in der gestaltung der wandflächen der innenräume fort.

wir sehen in den drei aufgeführten fällen sind vorgefundene bezüge verstärkt worden mit knoops werken als antennen des öffentlichen raums. durch äußerste reduktion der mittel und ohne eitle selbstinszenierung des künstlers gelingt es, festgefahrene, von der öffentlichkeit nicht mehr wahrgenommene kommunikationsprozesse im historischen und gegenwärtigen öffentlichen raum zu aktivieren und so zu einer erneuten teilnahme einzuladen. knoops plastiken funktionieren dabei als raumerzeugungsmaschinen. sie sind garanten einer raumechtheit, die den schein ausschließt. der berechnete, wahrgenommene raum ist kein vager, ist nichtohneweiteres manipulierbar, er hat bestand, ja ist bestand. gegenüber der unsere phantasie vernichtenden bilderflut der beliebigkeit in der gegenwärtigen welt der bilder, liefert er orientierung. wir werden in zukunft nicht mehr umhin können, unseren lebensraum, gerade wegen der neuen kommunikationsräume, die das interface der monitoroberfläche zwischen realem mensch und virtuellem mensch errichtet, neu zu verstofflichen und dafür eine zeichensprache und eine grammatik zu finden. knoops werke im öffentlichen raum - sei es im freien oder in frei zugänglichen räumen der museen, galerien, banken - ist ein wichtiger, in anbetracht der gefährlichen situation des verschwindens der wahrnehmung öffentlicher räume geradezu konstituierender akt solch neuen buchstabierens. seine skulpturen sind in diesem sinne fundamentale setzungen. die nicht mehr zu leugnende überlebensnotwendigkeit der wiedererrichtung fundamentaler werte braucht solche setzungen, die bekanntlich einerseits von fundamentalistischen bewegungen, andererseits von konsumistischen strategien umgelenkt werden. das englische wort "basic" spielt bei letzteren eine sich selbst verratende rolle, was gebraucht wird, gut sichtbar im öffentlichen raum, nämlich eine schule der raumwahrnehmung, damit in einem freien raum der auftritt des einzelnen und der gruppe möglich bleibt als moralisch verpflichtende gestaltung einer freien lebenspraxis. da wo formalistische kopien von kopien die vergessenen originale und deren ursprüngliche absichten überlagert haben, da wo das ornament wieder wuchert, obwohl es sogar inzwischen von der postmoderne fallengelassen sein müßte, so als habe es nie einen adolf loos oder einen werkbund gegeben, schafft knoop werke, welche den wertvollen fundus solcher traditionen herbeizitiert und wieder in kraft zu setzen vermag.

seine kinetischen werke haben gegenüber der beliebigkeit und der hektik von flash, laser und holographie eine geradezu arretierende funktion, wenn sie den betrachter zu eigener bewegung anleitet das gegenteil also dessen, was lichtkinetische installationen in den 60er jahren auslösen wollten. doch nur die äußere beschränkung, die auslese macht licht- und farberlebnisse wieder möglich, die tiefer gehen als die bloße reizung und den wortsinn der wahrnehmung erfüllen. so gebiert sprödigkeit schönheit - eine schönheit, die, wie gesagt, zugleich frei ist und nützlich.

knoop nimmt bezug. seine skulpturen sind keine l'art pour l'art-gegenstände, im gegensatz zu einem großteil der op-art-werke. sie konstituieren und definieren freiräume, wie wir gesehen haben, intervenieren aber auch kritisch und maßstabsetzend in die alltags-gebrauchsästhetik - etwa mit werken wie dem gitterdreieck eines zaunes und der patientenstraße im klinikum großhadern münchen. da werden gänge, da wird gehen zum ästhetischen erlebnis, zum dramatischen ereignis, ja zum purgatorium angesichts der notorisch herrschenden ästhetischen umweltverschmutzung.

angesichts dieser exemplarisch gelungenen werke im öffentlichen raum stößt der in den untiefen schlechten geschmacks und falsch plazierter kunst darbende alltagsbenutzer den seufzer aus, hätten doch die verantwortlichen planer und entscheider einen edgar knoop die unendlich langen gänge im terminalgebäude des neuen münchner flughafens gestalten lassen.

es ist bekannt, daß knoops künstlerische verfahrensweise wissenschaft, technologie und kunst integriert: aus der recherche und dem experiment heraus werden die materiellen technologischen träger für das zu manifestierende werk entwickelt. so war es nur folgerichtig, daß edgar knoop mit dem künstlerkollegen ugo dossi gemeinsam über die werkzeuge der kunst nachgedacht haben, im konkreten über das verhältnis des unsichtbaren zum sichtbarmachen in der kunst. bei dossi geschieht dies in der sublimen information des inhärenten formenvorrats von gestaltungskürzel, bei knoop ereignet es sich an der schnittstelle zwischen mathematisch geschaffenem und chaotischem raum. das errichtete leonardische feld von licht-, raum- und farbvernunft in der formschöpfung bewahrt uns letztlich vor dem größten aller schrecken, dem hinausfallen in den umgeformten, ungestalteten raum, den wir als unendlich umschreiben, mit der unmenschlichkeit totalen dunkels und totalen lichts. diese essentielle, diese fundamentale aufgabe einer kunst wie der von knoop, gegenüber der herrschenden bilder-überproduktion, mit den wirkungsmöglichkeiten im öffentlichen raum, wurde sehr deutlich von eugen gomringer erkannt, als er in seiner eröffnungsrede zur ausstellung von edgar knoop im heidelberger kunstverein im januar 1993 nicht ohne prophezeiende absicht sagte: "die dramaturgie neuer optischer kunst wird wichtiger denn je und unterscheidet sich von den darstellungen der frühen kinetischen op-art wie der laserstrahl von der zauberlaterne".

 

elmar zorn
museum für konkrete kunst ingolstadt, 1995

 

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